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GRAUNO

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Grauno

Täglich posieren hunderte Touristen auf ihrer Reise durch das obere Vinschgau vor einem alten Kirchturm, der aus dem Reschenstausee ragt. Den wenigsten dürfte die Geschichte dieser Kirche bekannt sein – die Geschichte einer unvorstellbaren menschlichen Katastrophe.

Einst war die Kirche das Zentrum von Altgraun, einem stattlichen Bauerndorf. 1949-50 fielen 163 Häuser in Graun und Reschen und 523 ha fruchtbarer Kulturboden dem „technologischen Fortschritt“ zum Opfer. Bäuerliche Betriebe verloren ihre Existenzgrundlage und mehrere hundert Bewohner von Graun mussten für immer ihre Heimat verlassen.

Die Umsetzung eines bereits während der österreichischen Monarchie vorgesehenen Stauprojektes, entwickelte sich unter Mussolini und später unter der italienischen Nachkriegsregierung zum kriminellen Akt: Der Konzern Montecatini (heute Edison) änderte zunächst die Anhebung des Wasserspiegels von ursprünglich geplanten 5 Meter auf gefährliche 22 Meter, was die Überflutung der Ortschaften Graun und Reschen zur Folge haben würde. Die betroffene deutschsprachige Bevölkerung wurde mit Absicht sehr kurzfristig und in italienischer Sprache über das Vorhaben informiert, sodass sie das Projekt und dessen Konsequenzen überhaupt nicht verstehen konnte. Spätere Proteste von Einwohnern und Einwände von Wissenschaftlern wurden durch Verstöße gegen geltende Gesetze und rücksichtsloses Vorgehen durch Behörden und Montecatini ignoriert. Während  das Wasser bereits die Häuser überflutete gab es immer noch keine Einigung über eine Entschädigung der Einwohner, die später unverhältnismäßig gering ausfiel.

Am Sonntag den 16. Juli 1950 läuteten um 8 Uhr abends ein letztes Mal die Glocken zum Abschied vom alten Graun. Die anschließende Sprengung des Kirchenschiffs beendete das langsame Sterben eines Dorfs und ungezählter Erinnerungen.

Heute erzeugen 116 Millionen Kubikmetern Wasser des Stausees rund 250 Millionen kWh Strom im Jahr. Nur der kurios wirkende Kirchturm im See mag an das unsägliche Schicksal der Menschen aus Graun erinnern.

Grauno | Photo
Grauno | Karte
Grauno | Historische Aufnahme
Grauno | Collage